Leibniz

Leibniz

Leibniz, Gottfr. Wilh., Freiherr von, keineswegs mit Unrecht der Aristoteles der neuern Zeit genannt, geb. 1646 zu Leipzig, der Sohn des Professors der Moral Friedrich L., bewährte schon im Knabenalter die Universalität seines Geistes, indem er die verschiedenartigsten Studien mit gleichem Eifer und Erfolg betrieb, bezog mit 15 Jahren bereits als Gelehrter die Universität, wurde 18jähr. durch seine früheste Schrift, die Abhandlung de principio individui, die für ungewöhnliche Kenntniß der mittelalterlichen Scholastiker Zeugniß ablegte, Baccalaureus der Philosophie, 2 Jahre später zu Altorf (Leipzig hatte ihn angeblich wegen seiner Jugend zurückgewiesen) Doctor der Rechte. Nachdem er bereits Schriftstellerruhm geärntet und in einer ars combinatoria versucht hatte, den Nutzen einer künstlichen Verbindung von Zahlen und Begriffen darzustellen und das Dasein Gottes mathematisch nachzuweisen, trieb er zu Nürnberg auch Alchemie, kam aber bald durch den kathol. gewordenen Grafen I. Ch. von Boineburg in die Dienste des Kurfürsten von Mainz, des berühmten von Schönborn. Schrieb eine neue Methode, die Rechtswissenschaft zu lehren und zu lernen, gab philosophische Werke heraus (theoria motus concreti, theoria motus abstracti) worin er bereits die Grundzüge seiner Monadologie entwickelte, schrieb nebenbei auch gegen den Socinianer Wissonatius und beschäftigte sich mit dem Plane, Ludwig XIV. zur Vernichtung der nordafrik. Seeräuberstaaten u. für die Eroberung Aegyptens zu gewinnen. L. richtete 1672 in Paris bei Ludwig XIV. nichts aus, wurde aber mit Malebranche, Cassini und besonders mit dem Mathematiker Huyghens bekannt, bald darauf zu London auch mit I. Newton u. blieb bis 1677 meist im Auslande. Nach dem Tode des Kurfürsten von Mainz machte ihn der gleichfalls kathol. gewordene Herzog Johann Friedrich von Braunschweig-Lüneburg zu seinem Rath u. Bibliothekar in Hannover. Von 1677 lebte L. meistens zu Hannover, Reisen abgerechnet; namentlich war er 1688–90 in Italien und hätte Custos der vaticanischen Bibliothek werden und so Aussicht auf die Cardinalswürde gewinnen können, wenn er seine vermeintliche Stellung über allen Parteien mit der Rückkehr zur kathol. Kirche hätte vertauschen wollen. Schon längst hatte die Glanzperiode seines Wirkens begonnen, namentlich auch sein Streit mit I. Newton wegen Erfindung der Differentialrechnung; L. hatte diese im Herbst 1784 veröffentlicht. Newton die sehr übereinstimmende Fluxionsrechnung bereits früher erfunden aber nicht veröffentlicht; die Londoner Akademie entschied gegen L., jedoch mit Unrecht, weil beide ihre Erfindung gleichzeitig gemacht hatten. Derselbe L., der epochemachende juristische, staatsrechtliche und historische Werke und Abhandlungen (Codex juris gentium diplomaticus; Scriptores rerum Brunsvicensium; De origine Francorum, zahlreiche Arbeiten in die Acta Eruditorum sowie in das Journal des savans etc.) schrieb u. keine unwichtige diplomatische Rolle spielte (Erhebung von Hannover zur Kurwürde), alle Religionsparteien zu einigen und alle Philosopheme in einem neuen zu vermitteln strebte und dabei einen ungeheuren Briefwechsel unterhielt, fand bei seinem beispiellosen Arbeitseifer noch Zeit, sich mit Verbesserung der Wagen, Zucht der Seidenwürmer u. dgl. zu beschäftigen. L. war es auch, der in der Erhebung Preußens zur Königswürde ein weltgeschichtliches Ereigniß erkannte u. 1702 die Berliner Akademie stiftete, deren erster, freilich abwesender Präsident er wurde. Auch in Dresden suchte er, obwohl erfolglos, die Errichtung einer Akademie durchzusetzen. Er veröffentlichte 1710 den besonders gegen Bayle gerichteten: »Essai de Theodicée sur la bonté de Dieu, la liberté de lʼhomme et lʼorigine du mal« (deutsch zu Mainz 1820), wurde 1711 mit dem Czar Peter d. Gr. bekannt. der ihm den Titel eines Geh. Justizrathes und 1000 Rubel Pension gab. 1711 durch den Kaiser Reichshofrath u. Freiherr, in seinen letzten Jahren zu Wien noch mit Prinz Eugen bekannt u. st. 1716 zu Hannover. – Seine Philosophie legte L. nicht in einem geordneten Systeme nieder, sondern in zerstreuten latein. u. franz. Schriften, den Kern derselben bildet die Monadenlehre. Im Gegensatz zu Spinoza faßte L. die Substanz nicht als leeres reines Sein, sondern als thätige Kraft in der Art, daß Gott die Monade der Monaden ist, das Universum aus einer Vielheit von Monaden, ähnlich wie bei den alten Atomistikern aus lauter punktuellen, unnahbaren u. unzerstörbaren Einzelheiten besteht. Jedes Ding ist eine Zusammensetzung von Monaden, der organische Körper eine Maschine, welche bis in ihre kleinsten Theile aus andern Maschinen besteht, der Raum lediglich eine verworrene subjective Vorstellung, auch von Materie im gewöhnlichen Sinn war bei L. keine Rede. Jede Monade aber ist von der andern wesentlich verschieden, jede eine Welt für sich und ein vorstellendes Wesen. welches das All ideell, gleichsam in Keimform in sich trägt und durch eigenes Hervorbringen der Bilder lebendig widerspiegelt. Die Verschiedenheit jeder Monade von allen andern beruht auf der Verschiedenheit des Vorstellens; es gibt nämlich so viele Grade des Vorstellens als es Monaden gibt. Nach den Hauptgesichtspunkten, die man hiefür aufstellen kann. ist die ganz bloße Monade (monade toute nue) in einem traumartigen Schlafe befangen (unorganische Natur), auf der zweiten Stufe ist die Vorstellung als bildende Lebenskraft thätig, jedoch ohne Bewußtsein (Pflanzenwelt), auf der 3. machen sich Empfindung und Gedächtniß geltend (Thierwelt), auf der höchsten Vernunft und Reflexion. Die von Gott prästabilirte Harmonie des All aber besteht darin, daß jede Monade das ganze und dasselbe All abspiegelt, u. daß die Veränderungen aller mit einander parallel gehen. Nur dadurch ist es möglich, daß die Seele, die Zwecken folgt, auf ihren von ihr ganz unabhängig bestehenden u. mechanischen Gesetzen folgenden Leib einzuwirken vermag. Schon aus dem Wesen der Monaden folgt die Unsterblichkeit der Seele; der Tod ist lediglich der theilweise Verlust von Monaden, aus denen die Leibesmaschine besteht und ein Zurücktreten der Seele in den Zustand vor der Geburt. Gott aber ist der zureichende Grund (d.h. Endzweck) aller Monaden. – Gegen Locke verfocht L. die angebornen Ideen, jedoch in dem Sinne, daß der Geist die Ideen aus sich zu erzeugen vermöge, wie er überhaupt für Hervorbringung aller seiner Gedanken u. sogar der Empfindungen keiner Außendinge bedürfe. Als höchste Erkenntnißprincipien nahm L. an den Satz des Widerspruches, des zureichenden Grundes und den, daß es in der Welt nicht 2 völlig gleiche Dinge gebe. In der Theodicee erläuterte L. seine bekannte Lehre von der besten Welt, näher den Satz, daß keine vollkommenere Welt möglich sei als gerade die vorhandene; aber da er die kirchliche Lehre vom Bösen und Uebel nicht annimmt, scheitert er auch an der Erklärung desselben und verwickelt sich durch seine Unterscheidung von metaphysischem, physischem u. moralischem Uebel nur in noch mehr Widersprüche. Die oft gehörte Behauptung, L. sei Katholik gewesen, hat lediglich den Sinn, daß er in religiösen u. kirchlichen Dingen weiter sah u. unbefangener urtheilte als die meisten Glaubensgenossen seiner Zeit. Er vertheidigte den Katholicismus in dem berühmten Systema theologiae, das nach seinem Tode herauskam (deutsch von L. Doller, 2. Aufl. Mainz 1820) und strebte nach Einigung der Religionsparteien, aber der Grund davon lag in seiner philosophischen Idee von der Kirche Gottes, welche die Geisterwelt zur Harmonie verbinden, somit nicht in Confessionen gespalten sein sollte; auch erkannte er in der röm. Hierarchie das beste Mittel dieser Einigung, war aber nie gesonnen, sich der Autorität der kathol. Kirche zu unterwerfen. – Den subjectiven Idealismus L.ens trieb Berkeley (s. d.) auf die Spitze. Ch. Wolff überarbeitete denselben. Lebensbeschreibung von Guhrauer, Breslau 1842, mit Nachtrag 1846; gesammelte Werke von Dutens, Genf 1768, deutsche Schriften von Guhrauer, Berl. 1838–40, philosoph. von Erdmann, Berlin 1840. Denkmal auf dem Waterlooplatze zu Hannover.


http://www.zeno.org/Herder-1854.

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